Amnesty International Jahresbericht 2005
Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember
2004
GRIECHENLAND
Amtliche Bezeichnung:
Hellenische Republik
Staatsoberhaupt:
Constantinos Stephanopoulos
Regierungschef:
Constantinos
Karamanlis (löste im März Constantinos Simitis ab)
Todesstrafe:
für
alle Straftaten abgeschafft
Statut des Internationalen
Strafgerichtshofs:
ratifiziert
UN-Frauenrechtskonvention
und Zusatzprotokoll:
ratifiziert
Berichten zufolge machten sich Beamte des
Grenzschutzes und der Polizei der Misshandlung von Migranten schuldig.
Die Haftbedingungen für illegale Einwanderer und Asylbewerber waren
unvermindert hart. Es fanden Gerichtsverfahren statt, die polizeiliche
Misshandlungen an Frauen, Angehörigen von Minderheiten und ausländischen
Staatsangehörigen zum Gegenstand hatten. Die Haftbedingungen im
Gefängnis von Korydallos gaben Anlass zu Besorgnis. Angehörige der
Roma sahen sich nach wie vor diskriminierenden Praktiken seitens
staatlicher Stellen ausgesetzt. Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen
mussten weiterhin damit rechnen, inhaftiert zu werden. Im November
stimmte das Parlament der Ratifizierung des Protokolls Nr. 13 der
Europäischen Menschenrechtskommission zu, wodurch die Todesstrafe
abgeschafft wurde.
Hintergrundinformationen
Aus den Parlamentswahlen vom März ging die
Partei Neue Demokratie
(Nea Dimokratia)
als Siegerin hervor
und löste damit nach elf Jahren die bis dato regierende Partei Panhellenische
Sozialistische Bewegung
(Panellino Socialistiko Kinima)
ab.
Im August war Griechenland Gastgeber der
Olympischen Sommerspiele 2004. Berichten zufolge mussten Roma-Familien
zwangsweise Grundstücke räumen, die für Infrastruktur- und Bauprojekte
im Zusammenhang mit den Spielen vorgesehen waren. Die strikten Sicherheitsvorkehrungen
im Vorfeld und während der Spiele drohten nach Einschätzung von
Beobachtern die Menschenrechte auszuhöhlen.
Behandlung von
Flüchtlingen und Migranten
Es wurde die Sorge laut, dass Praktiken
der Küstenwache und der Polizei einschließlich des Grenzschutzes,
die darauf abzielten, illegale Einwanderer am Betreten griechischen
Territoriums zu hindern, gegen internationale Standards verstießen.
Zu diesen Praktiken gehörten beispielsweise das Abfangen von Personen
an der türkischen Grenze und ihre sofortige Ausweisung, die Verweigerung
der Annahme von Asylanträgen und die Nichtausgabe solcher Anträge
an Migranten.
Im August berichteten Migranten, die drei
Monate lang auf der Insel Samos inhaftiert gewesen waren, über Haftbedingungen,
die internationalen Standards zuwiderliefen. Bedenken wurden auch
vom UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) nach einem
Besuch dieser Hafteinrichtung geäußert.
Im September sollen zehn Migranten von Angehörigen einer Kommandoeinheit
auf der Insel Farmakonisi misshandelt worden sein.
Am 15. Oktober wurden fünf Beamte der Küstenwache
für schuldig befunden, im Juni 2001 eine Gruppe von Einwanderern
auf der Insel Kreta gefoltert zu haben. Gegen sie ergingen Haftstrafen
zwischen zwölf und 30 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurden.
Weil sich das Ministerium für Öffentliche
Ordnung weigerte, seinen Fall erneut zu prüfen, drohte einem Sudanesen
die zwangsweise Abschiebung in die von bewaffneten Konflikten heimgesuchte
Region Darfur im Sudan, aus der er 2003 geflohen war. Die Behörden
hatten ihn bei seiner Ankunft in Griechenland im Juni 2003 festgenommen
und drei Monate später wieder freigelassen. Bis Oktober 2003 lebte
er in Griechenland ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen und
reiste dann nach Großbritannien, wo er um Asyl nachsuchte. Die britischen
Behörden befanden jedoch, dass die Prüfung seines Asylantrages in
der Zuständigkeit Griechenlands liegt, und schickten ihn im Juni
2004 dorthin zurück. Der erneute Asylantrag des Sudanesen wurde
mit der Begründung abgelehnt, dass er Griechenland zwischenzeitlich
verlassen habe. Die Bearbeitung seines ersten Asylantrags war eingestellt
worden. Die Behörden erließen daraufhin eine Ausweisungsverfügung
gegen den Sudanesen. Sein erneuter Antrag, in dem er sich auf aktuelle
Entwicklungen in Darfur berief, wurde für nicht zulässig erklärt.
Ob er bis zum Ende des Berichtsjahres abgeschoben worden ist, entzog
sich der Kenntnis von amnesty international.
Im November äußerte amnesty international
Besorgnis über Berichte, denen zufolge 502 Kinder, davon die meisten
aus Albanien, zwischen 1998 und 2002 aus dem staatlichen Kinderheim
Aghia Varvara in Athen verschwunden waren, nachdem die Polizei sie
auf der Straße aufgelesen und dorthin gebracht hatte. Viele der
Kinder sind offensichtlich in die Fänge von Händlern geraten, die
sie zwangen, billige Waren zu verkaufen oder zu betteln. Die Kinder
sollen im Heim nicht ausreichend beaufsichtigt worden sein und die
griechischen Behörden nur wenig oder gar nichts unternommen haben,
um sie wieder ausfindig zu machen. Trotz der Intervention mehrerer
Nichtregierungsorganisationen und des albanischen Ombudsmannes haben
die griechischen Behörden keine gründliche und unparteiische gerichtliche
Untersuchung des Falles vorgenommen, obwohl im Mai eine polizeiliche
Voruntersuchung eingeleitet wurde.
In Meldungen vom Dezember hieß es, Polizeibeamte
hätten eine Gruppe von etwa 60 Asylbewerbern aus Afghanistan gefoltert
und misshandelt, darunter mindestens 17 Personen unter 18 Jahren.
Die Polizisten sollen die Asylsuchenden sowohl in deren Unterkunft
als auch auf der örtlichen Polizeistation in Athen geschlagen, getreten,
sexuell misshandelt und mit Gewehren bedroht haben. Zwar wurden
in dem Fall Vorermittlungen eingeleitet, doch forderte amnesty international
eine sofortige, gründliche, unabhängige und unparteiische Untersuchung
gemäß Paragraph 137 des Strafgesetzbuches.
Berichten zufolge gab es unter den rund
700 Flüchtlingen, die in einer völlig überbelegten Einrichtung zur
Aufnahme und zeitweiligen Unterbringung von illegalen Einwanderern
in der Pagani-Region auf Lesbos untergebracht waren, 186 Kinder
im Alter von 13 bis 16 Jahren. Es hieß, dass sich bis zu 200 Menschen
Räumlichkeiten teilen mussten, die nur für 80 Personen ausgelegt
waren. Die meisten Flüchtlingskinder stammten vermutlich aus dem
Irak und Afghanistan und waren ohne Begleitung nach Griechenland
eingereist.
Der Prozess gegen einen Polizeibeamten,
der im Verdacht stand, den 18-jährigen Albaner Vullnet Bytyci im
September 2003 an der griechisch-albanischen Grenze erschossen zu
haben, wurde bis Februar 2005 vertagt.
Haftbedingungen
Die Nationale Menschenrechtskommission berichtete
im Mai über harte Haftbedingungen im Hochsicherheitstrakt des Korydallos-Gefängnisses,
in dem verurteilte Mitglieder der Gruppe »17. November« einsaßen.
Seit ihrer Verurteilung im November 2003 wegen Mordes und Sprengstoffanschlägen
waren die Gefangenen getrennt von allen anderen Insassen in zwei
isolierten Gruppen von jeweils sieben Personen untergebracht. Entgegen
internationalen Standards waren sie von Freizeitangeboten wie etwa
der Benutzung der Bücherei oder dem Aufenthalt im Freien ausgeschlossen.
In ihre Zellen drang kein Tageslicht und Sportübungen auf größeren
Flächen wurden ihnen verweigert. Berichten zufolge durften die Gefangenen
ihre Besucher nur hinter einer Trennscheibe aus Glas empfangen.
Anwälte und Insassen erklärten, dass Gespräche, die sie per Telefon
während dieser Besuche führten, mitgeschnitten wurden, eine Praxis,
die gegen internationale Standards verstieß. Das Justizministerium
teilte amnesty international im Juli mit, dass die Gefangenen der
Gruppe »17. November« bessere Bedingungen als andere Insassen in
Korydallos genießen würden und dass eine mögliche Verletzung internationaler
Menschenrechtsstandards geprüft werde.
Straffreiheit
für Menschenrechtsverletzungen
Ermittlungen der Polizei zur Aufklärung
von Vorwürfen über Misshandlungen durch Polizeibeamte entsprachen
nicht den internationalen Standards der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit.
Im Februar äußerte amnesty international
gegenüber dem Ministerium für Öffentliche Ordnung Bedenken, dass
die Ermittlungen hinsichtlich der mutmaßlichen Misshandlung zweier
junger Roma-Männer im August 2001 denselben Polizeidienststellen
zugeteilt worden waren, deren Beamte die Taten begangen haben sollen.
Außerdem enthielten manche der Aussagen von Polizisten in dieser
Untersuchung abfällige Bemerkungen über die Roma, was vermuten ließ,
dass die Misshandlungen das Ergebnis von Diskriminierung aufgrund
der ethnischen Zugehörigkeit der Opfer waren.
Nach Protesten gegen das Versäumnis der
Justizbehörden, die ukrainische Staatsbürgerin Olga B. als Zeugin
zu dem Prozess im Jahr 2003 zu laden, in dem es um den Vorwurf ihrer
Vergewaltigung durch einen Polizeibeamten ging, wurde das Verfahren
im März neu aufgerollt. Am 30. März wurde der Tatverdächtige freigesprochen.
Die Staatsanwaltschaft in Patras legte gegen das Urteil Einspruch
ein, der Beamte wurde im Dezember jedoch erneut freigesprochen.
Olga B. hatte außerdem im September 2003 in Patras eine Beschwerde
gegen zwei Gerichtsdiener eingereicht, die wahrheitswidrig behauptet
hatten, ihr die Ladung für die erste Gerichtsverhandlung zugestellt
zu haben. Im Juni sprach sich das für minderschwere Delikte zuständige
Gericht in Amaliada dafür aus, die zwei Gerichtsdiener freizusprechen.
Diese Entscheidung wurde jedoch am 21. September vom Berufungsstaatsanwalt
in Patras aufgehoben, der ein Strafverfahren gegen die beiden einleitete.
Die Verhandlung des Falles wurde für 2005 erwartet.
Zwangsvertreibung
von Roma-Familien
Berichten zufolge mussten Roma-Gruppen drei
Grundstücke in Athen räumen, auf denen Einrichtungen für die Olympischen
Spiele entstehen sollten. Die Behörden verstießen gegen den von
Griechenland ratifizierten Internationalen Pakt über wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte, indem sie es unterließen, den Roma
angemessene Ersatzquartiere anzubieten. Die Zwangsräumungen liefen
ferner dem »Integrierten Aktionsplan zur gesellschaftlichen Eingliederung
griechischer Roma« der Regierung zuwider, in dem es hieß, dass »erwartet
wird, dass bis zum Jahresende 2005 kein griechischer Roma mehr in
Zelten oder behelfsmäßigen Unterkünften wohnen wird«.
Kriegsdienstverweigerer
aus Gewissensgründen
Gesetzliche Regelungen des zivilen Ersatzdienstes
hatten nach wie vor Strafcharakter, obwohl ein neues, 2004 in Kraft
getretenes Gesetz die Dauer des Zivildienstes verkürzte. Der für
die Prüfung von Anträgen auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen
zuständige Ausschuss schlug eine generelle Ablehnung von Anträgen
vor, wenn die darin geltend gemachten Gewissensgründe nicht im Einzelnen
begründet werden.
amnesty international forderte eine Überprüfung
der Verfahrensweisen des Ausschusses und rief die Behörden auf,
einen rein zivilen Ersatzdienst außerhalb der Zuständigkeit des
Verteidigungsministeriums einzuführen.
Am 5. April wurde der Antrag von Kyriacos
Kapidis auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen abgelehnt,
weil der Antragsteller »nicht überzeugend seine Ansichten darüber
dargelegt hat, warum er den Wehrdienst als Teil einer allgemeinen
Lebensanschauung ablehnt, und weil er nicht hat nachweisen können,
dass er sich in seinen Aktivitäten und seiner Lebensführung von
Überzeugungen leiten lässt, die ihm die Erfüllung seiner militärischen
Pflichten unmöglich machen«.
Der Berufssoldat Giorgos Monastiriotis wurde
zu einer 18-monatigen Haftstrafe wegen Fahnenflucht verurteilt,
nachdem er es aus Gewissensgründen abgelehnt hatte, seiner Truppe
im Mai 2003 in den Nahen Osten zu folgen. Er trat aus dem gleichen
Grund aus der Marine aus. Am 6. Oktober wurde er für die Dauer des
Berufungsverfahrens freigelassen. Der Kriegsdienstverweigerer Lazaros
Petromelidis wurde am 16. Dezember vom Marinegericht in Piräus der
Befehlsverweigerung in zwei Fällen schuldig gesprochen und in Abwesenheit
zu einer zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
UN-Ausschuss gegen
Folter
Im November befasste sich der UN-Ausschuss
gegen Folter mit dem vierten periodischen Bericht Griechenlands
über die innerstaatliche Umsetzung der Anti-Folter-Konvention. Der
Ausschuss äußerte sich – wie bereits amnesty international zuvor
– besorgt darüber, dass Ermittlungen zur Aufklärung von Vorwürfen
über Folterungen und Misshandlungen nicht unverzüglich und unparteiisch
erfolgen. Er kritisierte das Fehlen eines effizienten, unabhängigen
Überwachungsmechanismus im Umgang mit
Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen.
Die Behandlung albanischer Migranten, die geringe Zahl von Flüchtlingsanerkennungen,
Zwangsvertreibungen von Roma, ausbleibende Nachforschungen nach
dem Verbleib der aus dem Heim Aghia Varvara verschwundenen Kinder
und der exzessive Einsatz von Gewalt und Schusswaffen durch die
Polizei waren weitere vom UN-Ausschuss identifizierte Problembereiche.
Bericht von amnesty international
Europe and Central Asia: Summary of Amnesty International’s
Concerns in the Region, January–June 2004: Greece (ai-Index: EUR
01/005/2004)
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